Spanien ist stolz auf seine Flamenco-Musik und seinen Tanz. Touristen besuchen gerne Feste und Festivals, bei denen diese leidenschaftliche Kunstform im Mittelpunkt steht. Die UNESCO hat sie als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Flamenco wird weithin als ein Grundpfeiler der spanischen Identität gefeiert. Alles sehr positiv. Doch das war früher ganz anders. Seit der Entstehung des Flamenco um 1775 in den Provinzen Murcia und Andalusien mussten sich die Künstler, die diese Musik prägten, gegen eine Welle der Ablehnung aus vielen Teilen der Bevölkerung behaupten.
Um zu verstehen, warum viele Spanier mit tief verwurzelten negativen Gefühlen auf Flamenco herabblickten, muss man in die Geschichte eintauchen. Genau zu der Zeit, als der Flamenco an Bedeutung gewann, befand sich Spanien in einer tiefen Identitätskrise. Nach dem Ende einer jahrhundertelangen Vorherrschaft, insbesondere in Südamerika, wurde das Land von einer Weltmacht zu „nur einem weiteren Land“ zurückgeworfen. Es gab ein starkes Bedürfnis nach einem neuen nationalen Stolz. Spanien wollte die moderne Welt umarmen. Doch der Flamenco stand für viele Bevölkerungsgruppen im Widerspruch zum Fortschrittsdrang.
Was also war das Problem mit dem Flamenco? Verheerende Urteile wie „ein vulgäres und pornografisches Spektakel“ waren damals an der Tagesordnung. Viele betrachteten ihn als Geißel der Nation. Begriffe wie „Unterhaltung, die die Massen einschläfert“ waren tief verwurzelt. Besonders in intellektuellen Kreisen wurden leidenschaftliche Auftritte mit der verachteten Roma-Bevölkerung in zwielichtigen Stadtteilen in Verbindung gebracht. Flamenco galt als weiterer Baustein des negativen Spanien-Bildes in der Welt: sadistische Kolonialherren, brutale Stierkämpfer und Zigeuner.
Auch die katholische Kirche stellte sich gegen den Flamenco. Die Geistlichen sahen in den wilden Darbietungen einen Angriff auf die Familienwerte und eine Verherrlichung von Unanständigkeit. Andere wiederum betrachteten den Flamenco als Symbol eines rückständigen Landes. Gewerkschaftler, die die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung verbessern wollten, sahen darin vor allem die Ausbeutung der Armen und eine Ablenkung der Arbeiter im Kampf um soziale Gerechtigkeit.
Kurioserweise gewann der Flamenco als leidenschaftliche Musik- und Tanzform gleichzeitig immer mehr Anhänger im Ausland. Dort war man nicht von Spaniens schwieriger Identitätssuche beeinflusst.
Während der Flamenco in Spanien durch inneren Widerstand eine Randerscheinung blieb, prangten die Namen spanischer Flamenco-Künstler in großen Buchstaben auf den Plakaten bedeutender Festivals in Amerika und Europa.
Die bizarre Geschichte vom Ekel zum Stolz erlebte in den 1950er Jahren eine besondere Wendung. Nach Jahren der internationalen Isolation brauchte das Franco-Regime Geld. Die ausländische Liebe zum Flamenco erwies sich als Lösung. Mit einer neu entdeckten Begeisterung für die Kunstform wurde Spanien nun stolz als das Land des Flamenco vermarktet. Das gab der Tourismusbranche einen kräftigen Aufschwung. Das stereotype Bild Spaniens, gegen das sich viele so lange gewehrt hatten, wurde plötzlich als etwas Positives angesehen.