Die Leute sprechen mich oft mit lieben Worten an. So etwas wie: Frieda, du bist so freundlich, hilfsbereit und immer gut gelaunt. Ich muss zugeben, diese Reaktionen schmeicheln meinem Ego. Andere Flamingos merken das ebenfalls. Sie machen mir Komplimente wie: „Frieda, deine Federn glänzen so schön.“
Aber täuscht euch nicht. Meine Persönlichkeit hat auch eine dunkle Seite. Ich liebe nämlich das Seltsame und manchmal sogar das Makabre in Spanien.
Ein gutes Beispiel fand ich nach einem langen Flatterflug nach Verges. Dieses kleine Dorf in Katalonien wird jedes Jahr am Gründonnerstag während der Osterfeierlichkeiten zum Schauplatz eines makabren Spektakels. Es heißt Tanz mit den Toten. Gegen Mitternacht ziehen fünf tanzende „Skelette“ durch die Straßen. Ihre Kostüme sehen furchteinflößend aus. Sie werden von weiteren „Skeletten“ mit Sensen begleitet, die Schilder tragen wie „Ich verschone niemanden“ und „Die Zeit ist kurz.“ Diese Begleiter tragen Fackeln und bewegen sich in einer Choreografie voller tragischer Symbolik durch das Dorf.
Als neue Zuschauerin dieses bewegenden Geschehens, das sich fast vollständig in Dunkelheit abspielt, fällt es mir schwer, meine Gefühle in Worte zu fassen. Das Verhalten des örtlichen Publikums ist sehr respektvoll. Es herrscht beinahe völlige Stille, nur unterbrochen vom langsamen Schlag der Grabtrommeln. Die spärliche Beleuchtung durch Fackeln und Öllampen aus Schneckenhäusern macht die Szenerie noch hypnotischer. Verstärkt wird dies durch die „Begleitskelette“, die Schalen mit Asche und eine Uhr ohne Zeiger tragen. Dieses letzte Symbol ist eindeutig: der Tod kann jederzeit zuschlagen.
Damit kommen wir zur Frage, warum Tanz mit den Toten entstanden ist. Sein Ursprung liegt mehr als 300 Jahre zurück. Ganz Europa wurde von den verheerenden Folgen der Pest heimgesucht. Diese schreckliche Krankheit forderte das Leben eines Drittels aller Europäer. Um zu zeigen, wie wahllos die Pest zuschlug, besteht die Gruppe der fünf Tänzer immer aus drei Kindern und zwei Erwachsenen.
Das Seltsamste an meinem Tag in Verges war jedoch, dass das Publikum erstaunter war, einen Flamingo zu sehen, als sich bewegende Skelette. Ich glaube, ich werde die Menschen niemals ganz verstehen.